Im Allgemeinen bedeutet progressiv so viel wie „stufenweise fortschreitend“, „fortschrittlich“. Angewandt auf einen spezifischen Stil der Rockmusik kann darunter eine Beschreibung musikalischer Gestaltungsmerkmale verstanden werden. Der Musiker Keith Emerson beschreibt das von ihm mitgestaltete Genre als geprägt durch ein fortschreitendes Spiel mit musikalischen Ideen:
„Es ist Musik, die fortschreitet. Eine Idee wird aufgegriffen und entwickelt, und nicht nur einfach wiederholt. Pop-Songs zeichnen sich durch Wiederholung, Riffs und Einfachheit aus. Progressive Musik nimmt einen Riff, stellt ihn auf den Kopf, spielt ihn einmal genau umgekehrt und erforscht auf diese Weise sein Potenzial.“
Geschichte
Die Ursprünge des Progressive Rock finden sich vor allem im Großbritannien der 1960er Jahre. Einige Rockbands versuchten ihre auf den einfachen Bluesstrukturen beruhende und konventionell, meist mit Gitarre, Bass und Schlagzeug instrumentierte Musik um neue musikalische und textliche Dimensionen zu erweitern. Auch der politische Aktivismus, der in Verbindung mit den damaligen gesellschaftlichen Entwicklungen stand, trug zur Entstehung eines neuen Genres bei, dessen Protagonisten und Publikum sich fernab von althergebrachten musikalischen Schemata, unter Verwendung von für die damalige Rockmusik unüblichen Instrumenten, mit neuen Formen der Musik beschäftigten.
Das Aufkommen der elektronischen Tasteninstrumente, wie Mellotron und später Synthesizer, sowie die seit den 1930er Jahren vor allem im Jazz gebräuchliche Hammond-Orgel, beeinflussten die Entwicklung des Progressive Rock in den späten 1960er Jahren sehr. Neu waren aber nicht nur die elektronischen Instrumente in der Rockmusik. Auch Instrumente und musikalische Strukturen aus dem Jazz und der klassischen Musik ließ man in der Anfangszeit des Progressive Rock in die Musik einfließen. So wurde die klassische Besetzung einer Rockband aus Gitarre, Schlagzeug und Bass zunächst um Flöte, Saxophon, Streichinstrumente oder Blechblasinstrumente erweitert, später wurden auch exotische Instrumente (z. B. die Sitar aus dem fernöstlichen Kulturkreis) ein Bestandteil des Progressive Rock.
Der Progressive Rock erweiterte die herkömmliche Rockmusik aber nicht nur musikalisch, sondern die Vorreiter dieses Genres bearbeiteten in ihren Texten auch neue Themen. Während sich die Rocksongs der 1960er Jahre noch hauptsächlich mit alltäglichen Themen und der Liebe beschäftigten, entwickelten die Musiker des Progressive Rock bereits Konzeptalben, die einem streng durchdachten textlichen und musikalischen Konzept folgten, oft motiviert und angetrieben durch eine gesellschaftliche oder politische Aussage oder mit fiktiven, narrativen bis hin zu surrealen Akzenten und Ansprüchen. Aus den neuen, elektronisch geprägten Möglichkeiten entstand so Musik, deren Texte sich politischer und gesellschaftskritischer äußerten, sowie Musik, die sich zunächst mit Drogen auseinandersetzte (psychedelische Phase), dann klassische und volksmusikalische Elemente einbezog (klassische Phase), um schließlich Jazz-Elemente (Konzept-Phase) aufzunehmen.
Tatsächlich war der Jazz inzwischen wesentlich weiter entwickelt und experimentierte im Free-Bereich, an den sich die Rockmusik nicht herantraute. Als erste Progressive-Rock-Bands werden hauptsächlich King Crimson und The Nice angesehen.
Als klassische Phase des Progressive Rock bezeichnet man die Aktivitäten der Hauptvertreter des Genres von 1969 bis etwa 1976. Zu den wichtigsten Bands dieser Zeit zählen die britischen Gruppen Genesis, Yes, King Crimson und Emerson, Lake & Palmer. Sie werden gelegentlich als die „Großen Vier“ des Prog bezeichnet. Neben ihnen gehören Mike Oldfield, Camel, Jethro Tull, Manfred Mann's Earth Band, Beggars Opera, Gentle Giant, Procol Harum und Van der Graaf Generator zu den einflussreichsten Interpreten jener Zeit.
Progressive Rock heute
Vom Beginn der 90er Jahre bis zur heutigen Zeit gab es einige Entwicklungen im Bereich des Progressive Rock. Als wichtigste und maßgeblichste Entwicklung dieser Zeit gilt die Entstehung des Progressive Metal. Dieses neue Genre verbindet den seit den 80er Jahren bestehenden Heavy Metal mit dem Progressive Rock. Das Ergebnis dieser Synthese ist meist komplexe und virtuose Rockmusik in einem sehr hohen Tempo. Dominiert wird der Progressive Metal von E-Gitarre und schnellen, tiefen Bassläufen. Die meisten Bands arbeiten auch mit Synthesizern und Keyboards. Zu den bekanntesten Vertretern des Progressive Metal gehören Dream Theater, Fates Warning, Queensrÿche, Vanden Plas mit „Abydos“ und Symphony X.
Eine weitere Entwicklung der 90er Jahre ist die unter dem Begriff Retro-Prog gefasste Bewegung. Die ihr zugerechneten Bands kehren musikalisch wieder zu den Wurzeln des Prog in den 70er Jahren zurück. Regionale Zentren dieser Bewegung sind Skandinavien mit Bands wie The Flower Kings oder den Vorreitern Änglagård und die USA mit der erfolgreichen Gruppe Spock's Beard. Ein weiterer bekannter Vertreter des Retro-Prog war die Supergroup Transatlantic, die sich aus Mitgliedern von Dream Theater, Spock’s Beard, Flower Kings und Marillion zusammensetzte.
Daneben existieren zahlreiche Bands, die die Stile der 70er Jahre aufgreifen und weiterentwickeln. Diese bilden durch ihre enge Vernetzung miteinander und den häufigen Projektcharakter ihrer musikalischen Aktivitäten oft lokale oder nationale Szenen. Besonders aktiv sind zu Beginn des neuen Jahrtausends Bands in den klassischen Ländern des Prog, England und Italien, aber auch in Ländern wie Schweden (Beardfish, The Flower Kings), Kanada (Miriodor), USA (echolyn, Glass Hammer) oder Japan, wo vor allem der italienische Prog der 70er und Jazziges, Zeuhl, oder einfach Schräges rezipiert wird (Mr. Sirius, Ars Nova, Ruins).
Musikalische Aktivitäten zeigten in den 90ern und der heutigen Zeit auch noch einige Hauptvertreter des Neo-Prog der 80er Jahre wie IQ, Saga und Arena. Auch Marillion ist noch bis heute aktiv. Völlig neue Trends in den 90ern und der jüngsten Zeit setzten als „Soundperfektionisten“ bezeichnete Bands wie Nine Inch Nails, Tool, Sigur Rós, Radiohead, Muse, The Mars Volta, Dredg, Primus, Porcupine Tree, RPWL, Riverside, Sylvan oder Oceansize.
Auch einige Vertreter der klassischen Phase des Prog waren in den 90er Jahren oder sind bis heute aktiv, haben aber oft ihren Stil stark verändert:
Bis heute aktiv sind Jethro Tull, deren Alben zahlreiche, zum Teil drastische Stilwechsel, aber stets für die Band charakteristische progressive Elemente aufweisen (komplizierte Rhythmisierung; dramatische Dynamik; mal symbiotische Verwebung, mal schroffe Entgegensetzung von Rock und akustischer Musik; Einsatz eines breiten Spektrums an Instrumenten; zunehmend virtuose Querflöte und E-Gitarre). Nachdem man in der zweiten Hälfte der Siebziger Jahre ausgiebig mit den Stilmitteln des Folkrock experimentiert hatte, erfolgte in den Achtziger Jahren eine Hinwendung zu elektronischer Musik, was in dem komplexen Computer-Rock-Album Under Wraps kulminierte. Nach dessen kontroverser Aufnahme wurde auf Crest Of A Knave der Einsatz elektronischer Keyboards auf ein Minimum reduziert und dafür das eindringliche E-Gitarren-Spiel Martin Barres stärker als je in den Vordergrund gerückt. Das Album wurde 1989 mit dem ersten und einzigen Grammy Award for Best Hard Rock/Metal Performance Vocal or Instrumental ausgezeichnet, unter anderem gegen Konkurrenten wie AC/DC und Metallica. In den Neunziger Jahren veröffentlichte Bandleader Ian Anderson auf dem EMI-Klassik-Label als Flötist das Instrumental-Album Devinities. Die danach veröffentlichten Tull-Studioalben Roots To Branches und Dot Com verarbeiten Einflüsse traditioneller Orientalischer Musik.
Die Band Yes veröffentlichte in den 90er Jahren einige Alben, die am ehesten dem Adult-oriented Rock zuzuordnen sind. Sie finden kaum Gefallen bei Kritikern und stehen eher im Schatten gleichzeitig veröffentlichter Live-Aufnahmen und Kompilationen aus den 70er Jahren. Ähnlich verhält es sich auch mit anderen Bands der klassischen Phase des Prog. Ganz anders King Crimson, die nach ihrer Wiedervereinigung in den 90er Jahren höchst anspruchsvollen und komplexen Prog spielen, der von balinesischer Gamelan-Musik und modernem Metal-Sound beeinflusst ist. Des Weiteren existiert heute eine Vielzahl von Cover-Bands, die den Genrevertretern aus der klassischen Phase, an erster Stelle Genesis, nacheifern. Besonders hervorgetan hat sich die offizielle Genesis-Tribute-Band The Musical Box aus Kanada, die alte Genesis-Konzerte mit den Original-Bühnenbildern und Kostümen in gut besuchten internationalen Konzerttourneen aufführt. Die Australian Pink Floyd Show verleiht den Bühnenauftritten der Briten von Pink Floyd eine australische Note und wurde unter anderem durch ein Auftrittsangebot auf David Gilmours Geburtstag gewürdigt.