Paul beginnt sein Studium an einer Eliteuniversität. Ohne Fleiß kein Preis, lautet der Wahlspruch der Wirtschaftsschule, die ihn und seine Mitstudenten zu angehenden Konzernbonzen ausbilden will. Paul weiß, dass er da nicht so richtig mithalten kann - mit Louis-Arnault zum Bei- spiel, dem Diplomatensohn und Wasserpolo-Spieler, mit dem er sein Zimmer teilt. Paul nimmt das Leben lieber leicht: Sex mit seiner klugen Freundin Agnès, unbeantwortete Flirts zwischen den Seminaren mit Louis-Arnault. Bald langweilen ihn die erotischen Spielchen der Söhne und Töchter aus gutem Hause. Dann lernt er den jungen Arbeiter Mécir kennen, der ihm schöne Augen macht und ihn lehrt, dass das Leben die beste Schule ist. Doch kann sich Paul vom Druck seiner Eltern und Mitstudenten befreien, die erwarten, dass er weiß, „wo sein Platz ist“?
GRANDE ECOLE ist die hohe Schule des erotischen Films. Selten wur- de das Genre des Internatsfilms so sinnlich aufgeladen wir mit diesem Film. Herausragend: der junge Salim Kechiouche, der als Mécir Sätze sagen darf wie: „Hetero, Homo, das ist vorbei, nur Du bist wichtig.“
In seinem Spielfilmdebüt inszeniert Robert Salis das Treiben an einer französischen Eliteschule als erotisches Spiel um Macht und Status.
Die Zukunft sieht rosig aus für die jungen Männer und Frauen, die nach Absolvieren eines harten Bewerbungsverfahrens an eine École Supérieure aufgenommen werden. An den elitären Hochschulen wird nämlich Frankreichs kommende Generation von Führungspersönlichkeiten ausgebildet, die Studierenden von heute sind die Konzernchef_innen, hohen Militärs und Minister_innen von morgen. Vor diesem Hintergrund inszeniert der Regisseur und Drehbuchautor Robert Salis nach dem gleichnamigen Theaterstück von Jean-Marie Besset ein sexuell aufgeladenes Ränkespiel zwischen Vorlesungen und Prüfungsstress. Wir haben uns das erotische Drama einmal genauer angeschaut.
Gefühlschaos auf dem Campus
Paul, der Protagonist von „Grande École“, kommt zwar wie fast alle seine Kommiliton_innen aus gutem Haus und hat eine erstklassige
Bildung genossen, doch trotzdem fühlt er sich als Erstsemester an einer prestigeträchtigen Business School in der Nähe von Paris etwas
unwohl. Besonders im Vergleich mit seinem charismatischen Zimmergenossen, dem Diplomatensohn und Athleten Louis-Arnault, kommt sich
der Sportmuffel provinziell und unterlegen vor. Aber mit der Zeit soll nicht bloss Pauls Selbstvertrauen wachsen, auch sein Interesse an Louis-
Arnault wird stärker. Es entwickelt sich eine Schwärmerei, die auch Pauls Freundin Agnès nicht entgeht. Die ebenso kluge wie schöne
Literaturstudentin überredet ihren Freund schliesslich zu einer ungewöhnlichen Wette: Wem von beiden es zuerst gelingt, Louis-Arnault zu
verführen, der hat gewonnen. Agnès Sieg würde bedeuten, dass Paul bei ihr bleiben muss, während er bei Erfolg von ihr frei wäre. Pauls
emotionale Verwirrung intensiviert sich noch, als er auf dem Campus den arabischen Hausmeistergehilfen Mécir kennenlernt, der ihm
Avancen macht. Bald finden sich alle Beteiligten in einem Gefühlschaos wieder, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint.
Ein Soziologieseminar als Seifenoper Gleich in den ersten Minuten zeigt Regisseur Robert Salis die erste Sexszene und lässt sich Paul und Agnès zu einem rauschenden Feuerwerk am Nachthimmel lieben. Es soll nur eine von vielen weiteren erotischen Szenen bleiben, die aber schon deutlich werden lässt, worum es dem Filmemacher geht: Die Lust und der Liebesakt werden in „Grande École“ auf geradezu bombastische, bildgewaltige Weise dargestellt und immer wieder als unkontrollierbare Naturgewalt oder die Realität übersteigender Traum in Szene gesetzt. Dem gegenüber stehen die strenge Hierarchie und Disziplin an der Hochschule sowie das Bemühen der jungen Protagonist_innen, ihr Leben möglichst umfassend zu kontrollieren. Für Paul bedeutet das unter anderem, seine homosexuelle Neigung zu verheimlichen.
In den redseligen Dialogen, denen man ihren Ursprung im Theater anmerkt, breiten die Figuren ihre Gedanken aus und versuchen die eigenen Gefühle zu intellektualisieren. Heraklid wird etwa beim Abendessen zitiert, während auf dem Frühstückstisch neben dem Toastbroat wie selbstverständlich Michel Foucaults „Überwachen und Strafen“ liegt. So einiges, was Salis hier an politischen und soziologischen Kommentaren und Wissensfetzen auffährt, erscheint dabei unverdaut und das Gerede der Protagonist_innen über Macht und Status ist ebenso prätentiös wie plakativ. Im Grunde bietet „Grande École“ nicht viel mehr als eine aufwendig bebilderte Seifenoper mit etwas Softerotik, an der die theoretischen Einschübe wie aufgesetzt wirken.
Aufgeblasen und wenig inspirierend
Auf einer filmischen Landkarte liesse sich „Grande École“ villeicht irgendwo zwischen Bernardo Bertoluccis „Die Träumer“ (2003) und
Roger Kumbles „Eiskalte Engel“ (1999) mit Sarah Michelle Gellar verorten. Leider schafft es Salis dabei weder, Sinnlichkeit und Intellekt zu
einem stimmigen und scharfsinnigen Gesellschaftsporträt zu verdichten, wie es Bertolluci gelungen ist, noch wagt er sich in die unterhaltsamen
Untiefen der Popkultur, in denen sich Kumbles Teenie-Melodram genüsslich suhlte.
Trotz einiger schöner Aufnahmen und viel nackter Haut erweist sich „Grande École“ letztlich als wenig inspirierend. Salis´ unfokussierte Regie, die bisweilen zu nah an der für das Theater geschriebenen Vorlage bleibt, stören das Vergnügen ebenso wie die aufgeblasene Botschaft.
Quelle / © - Text + Bilder Film-Info: Salzgeber & Co. Medien GmbH
Quelle / © - Text (Filmkritik) von queer.ch -
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